Zillertaler Bergführer
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Die Schatztruhe

Vaters Ausrüstung war ein mix aus Bergluft, Schweiß, Freiheit und Abenteuer.

Klein und unscheinbar stand sie im Hausgang nicht wertvoll und kitschig bemalt, trotzdem hatte sie eine magische Aura. Für mich und meinen Bruder Andreas hatte sie all das von dem wir bis zu dieser Zeit nur vom Erzählen wussten.

Eine gewöhnliche Holztruhe, keinen halben Meter hoch. Der Inhalt? Vaters Bergausrüstung. Der Geruch, manche würden sagen leicht stinkig, für uns ein Mix aus Schweiß, Bergluft, Freiheit und Geschichten. Immer wieder und öfter wurde sie entleert, um dann die einzelnen Ausrüstungsgegenstände wieder fein säuberlich zurücklegen zu können. War Vater zu Hause und hatte Zeit, wurde gefragt und ausprobiert für was Dieses und Jenes gut sei, so dass wir als knapp 10- und 12- Jährige schon ziemlich genau wussten, was damit anzustellen ist. In diesen Momenten tauchten wir ab in die Welt von Vaters Geschichten und Anekdoten, zum Teil gruselig mit Bergunfällen bestickt, deren Tragweiten uns erst sehr viel später in ihrem ganzen Umfang bewusst wurden. Und dann kam der Moment, wir zogen aus - um ALLES nicht nur zu hören, sondern zu ERLEBEN.

Alles erleben

Nun war es rückblickend, mit über vierzig Jahren Abstand betrachtet, bei uns zu Hause aber keinesfalls so, dass wir verwahrlost großgeworden wären, wohl aber unbehütet. Darum hieß es für uns damals ALLES ERLEBEN, sich Vaters Ausrüstung schnappen und in den nahegelegenen Wald ziehen, zu dem dort stehenden moosigen Felsbrocken, gut baumhoch, im linken Bereich mit einem Riss durchzogen. So gut wie möglich versuchten wir das gehörte, aber sicher nicht gefestigte Wissen nachzuahmen. Ich, als der Ältere, stieg in diesen Riss ein und es fühlte sich einfach fantastisch an. Leidenschaft entfachte - sicher nicht mit dem Fußball spielen vergleichbar - es war meine / unsere Welt! Es wurde ein Hacken geschlagen, es wurde geklettert und ... es wurde abgestürzt. Der Hacken hielt natürlich nicht und ich landete unverletzt auf meinem Bruder, den aber schlug es gleich in ein gigantisches Brenneselfeld. Viel schlimmer jedoch war, dass ich ihm beim Aufprall den Unterarm gebrochen hatte. Der Schmerz war Andreas durchaus anzusehen. Diesen Gesichtsausdruck kannte ich bereits schon von einigen Erlebnissen und ist bis heute, nach vielen weiteren Erlebnissen dieser oder ähnlicher Art, immer noch derselbe.

Das Resultat

Das Resultat dieses Vorfalls war ein Jugendbergsteigerkurs beim Alpenverein auf der Franz-Senn-Hütte im Stubai. Das erste Zusammentreffen mit Bergführern und Persönlichkeiten, die mir später zu Freunden wurden. Herbert Horvath war für uns zuständig, ein einmaliger Mensch mit einer unglaublichen Leistungsbereitschaft und einen großen Instinkt für Schnee. Jahre später durfte ich als junger Bergführer mit ihm eine größere Skitourengruppe der Alpenvereins Bergsteigerschule führen und in diesen Tagen habe ich mehr gelernt bekommen über die Materie Schnee als in meiner gesamten Ausbildung. Und auch Horst Fankhauser wahrgenommen als Hüttenwirt, in Wirklichkeit einer der ganz Großen im Tiroler und internationalen Bergführer- und Bergsteigerwesen. Horst der in den weiteren Jahren die wichtigsten positive Momente, aber auch dunkelste Stunde in den Bergen mit mir teilte. Danke euch beiden!

#365 Tage Freude am Berg