Am Anfang stand der Ortler 3905m
27. September 1804
Erste Besteigung des Ortlers
Johann Leitner & Johann Klausner
Zillertaler Offiziersgehilfen
aus Zell am Ziller
Der Leser möchte im Zusammenhang der Ortlerbesteigung immerhin die höchste Erhebung im habsburgischen Kaiserreich einen Anflug von bergsteigerischem Patriotismus verzeihen, und für eine kleine Freude vornehm hinwegsehen
Man schreibt den 27. September 1804 – die erste Besteigung des Mont Blanc 1786 als die „Geburtsstunde“ des Alpinismus ist 18 Jahre alt, die erste Besteigung des Großglockners 1800 war 4 Jahre vorher, der Tiroler Freitheitskampf kann noch 5 Jahre warten, auf das Lied aller Lieder „Stille Nacht, heilige Nacht“ muss die Menschheit noch 14 Jahre warten und die Zillertalbahn erbaut 1901 braucht noch Jahre und die Köpfe dieses Verkehrsprojekts sind noch nicht geboren bzw. ist bei den Talbewohner so ein Ansinnen gar nicht vorstellbar. Vorhandene Gaststätten und Wirtshäuser mit Übernachtungsmöglichkeiten werden von fahrenden Händlern aufgesucht. Gäste oder Reisende zum reinen Vergnügen oder aus Erholungszwecken gab es nicht.
Die vorhandene Struktur im „Zillerthal“ könnte in etwa so ausgesehen haben. Größere Siedlungen an Bächen gebaut, zum Ziller hin noch Sumpf und dichter Auenwaldverbunden durch einen Karrenweg und zwei tragfähige Brücken- eine in Strass eine in Zell. Der Gerichtsort Fügen mit dem Schloss etwas hervorgehobener, Stumm mit Schloss ein Hauch von Adel und Zell als „Verkehrsknotenpunkt“ ebenfalls etwas besser gestellt. Die große Frage die sich im 20. Jahrhundert stellt ist, wie wurde man auf zwei loyale Bergsteiger den Namen Leitner u. Klausner aus Zell am Ziller aufmerksam?
und welch überzeugende Art der alpinen Gewandtheit haben die Beiden an den Tag gelegt, um mit der „ehrenvollen“ Aufgabe der Erstbesteigung des Ortlers als bereits bekannter „höchster Spitz im Land Tyrol“ u. Monarchie im Auftrag des österreichischen Kaiserhauses bedacht zu werden. Wer war? und welche Funktion im Kaiserreich hatte ein Bergoffizier, der Bergoffizier Dr. Gebhard. Diese Fragen löst der von Lois Friedmann aus Wien verfasste Artikel erschienen in den dreibändigen Aufzeichnungen „Erschließung der Ostalpen“ des DuOeAV erschienen 1894 in Berlin.
Der Ortler 3905m und seine ersten Ersteigungen. 1)
Als Erzherzog Johann von Oesterreich seine erste Reise nach Tirol unternahm, besuchte er den Vintschgau und die Quellen der Etsch. Der Anblick des Ortlers, der gewaltig sein Haupt über alle nachbarlichen Gletscher und Gipfel erhebt, wie er von der Reschenscheideck gesehen dem Beschauer sich bietet, hatte das lebhafte Interesse des fürstlichen Herrn erregt. Innig vertraut mit Allem, was in Tirol geschah und darüber geschrieben wurde, äusserte er die Meinung, dass dieser Berg den höchsten Gipfeln von Savoyen und der Schweiz nur wenig nachgeben dürfte. Wer konnte diese Meinung bejahen oder verneinen? Unbetreten lag auf dem Felsrücken das tausendjährige Eis, Gewinnsucht, diese Triebfeder der meisten menschlichen Handlungen, konnte seine Ersteigung weder erwecken, noch befriedigen. Was konnte man da oben gewinnen? Wildschützen und Gemsjäger lauerten lieber am Fuße der Ferner, Schatzgräber meinen, das Gold liege nicht so hoch, Schmuggler wagen es nur in höchster Noth, stundenlange Eisfelder zu queren. Nur hoher Sinn für erhabene Natur, leidenschaftliche Wissbegier könnten den Menschen zu solchen Unternehmungen stimmen, ihm Kraft und Muth dazu verleihen. --- Für die Länderkunde war damals noch wenig gethan; sehr viel Fehlerhaftes und Einseitiges war erschienen, und es beschloss daher Erzherzog Johann, einen Mann zur näheren Erforschung des Vinschgaues bis an Graubündens Grenze dahin zu entsenden. Es war der Bergofficier Dr. Gebhard, dem diese Aufgabe zuviel. Mineralogie und Botanik standen im Vordergrund, Sitten, Gebräuche, Trachten, Industrie, Bildung der Thal-und Bergbewohner sollten aber keineswegs ausser Acht gelassen werden. Die Messung und Besteigung des Ortlers blieb jedoch das Wichtigste, und am 28. August 1804 traf Gebhard, mit allen Nötigen versehen, von einer Reise durch das südliche Tirol über Meran, Schlanders, Agums im Suldenthal ein und befand sich so das erste mal am Fusse des Bergriesen.
Sein Erstes war, mit den Bewohnern des Dörfchens St. Gertrud über die Besteigung des Ortlers Rücksprache zu halten, doch wurde ihm allenthalben die Möglichkeit abgesprochen, diesen Gipfel jemals ersteigen zu können. Durch Geld und Worte brachte er es jedoch so weit, dass schon am folgenden Tage der erste Versuch gemacht wurde, welcher aber zu keinem Resultat führte. Gebhard hatte sich aus Zell im Zillerthal zwei Männer, Johann Leitner und Johann Klausner, mitgenommen, welche seine ständigen Begleiter waren, und überdies zwei Ortskundige aus dem Suldenthal gedungen. In einem Zelte wurde am Fusse des Ortlers auf Grashängen oberhalb der Schönleiten Quartier aufgeschlagen und ein Versuch unternommen. Tags darauf, am 31. August machten sieben Mann im Auftrage Gebhard´s einen weiteren Versuch, den Ortler über die Tabarettawand zu ersteigen, ohne von Erfolg begünstigt zu sein. Gebhard war während dieser Zeit in seinem Zelt erkrankt, übersiedelte in den Widum und musste am 4. September, als sein Zustand sich verschlimmerte, zum Thale hinausgetragen werden, nach Mals fahren und dort vom 5. Bis 13. September das Bett hüten. --- Die Versuche auf den Ortler wurden während dieser Zeit fortgesetzt und am 8. Und 13. September der vierte und fünfte Angriff gemacht. Bei all diesen Expeditionen betheiligten sich die beiden Zillerthaler Gebhard´s, doch dürften sie bei ihren Bestrebungen durch die Unfähigkeit der Thalbewohner eher gehindert als gefördert worden sein.
Am 22. September --- Gebhard lag noch nicht ganz genesen auf seinem Bette --- liess sich ein herumziehender Harfenist melden, der eine Ersteigung des Ortlers wagen wollte. Er hatte sich in den Wirthsstube als kühnen und verwegenen Bergsteiger ausgegeben und wusste durch Beredsamkeit wirklich die Hoffnung zu erregen, dass der Ortler für ihn ersteigbar sei. Er hatte sich in der Wirthsstube als kühnen und verwegenen Bergsteiger ausgegeben und wusste durch Beredsamkeit wirklich die Hoffnung zu erregen, dass der Ortler für ihn ersteigbar sei. „Mein Harfenist,“ so schrieb Gebhard, „kramte auch bei mir seine Beredsamkeit aus, wie er sich nicht allein in ganz Europa, sondern auch in Ost- und Westindien die höchsten Berge erklimmt hätte. Er war Prahlhans genug, mir zu versichern, dass er einen Weg finden werde, der mich bequem und sicher auf die Spitze führe; er zweifle nicht, ihn in kurzer Zeit so herzustellen, dass ihn sogar Pferde passiren können, auch besitze er die geheime Kunst, ein elektrisches Feuer auf dem Eise hervorzubringen und dadurch einen längeren Aufenthalt auf der Spitze, auch bei grösster Kälte, möglich zu machen.“
Die beiden guten Leute Gebhard´s wurden auch diesen sechsten Versuch beigegeben, um mit den Abenteurer nach dem Ortler zu wandern, kehrten jedoch am dritten Tag unverrichteter Dinge zurück. Der kühne Harfenist habe es nicht einmal recht auf die Eisfelder gewagt und sei beim Emporsteigen immer der Letzte geblieben. Zu weiteren Versuchen hatten sich wieder einige Männer gemeldet, doch erkannte Gebhard bald aus ihren Forderungen, dass der Eigennutz das treibende Motiv dieser biederen Aelpler war.
Die Ersteigung des Ortlers schien also thatsächlich undurchführbar. Schon sehnte sich Gebhard, der Gegend den Rücken zu kehren und Mals zu verlassen, wo er von seinem Fenster aus, jede Minute den Berg sehen konnte, dessen Unersteiglichkeit ihm so viele missvergnügte Tage verursacht hatte, als am 26.September gegen Mittag Josef Pichler, ein Mann aus St. Leonhard im Passeier --- seines Zeichens Gemsjäger --- zu ihm hereintrat. Dieser Mann war Gebhard schon früher als der Einzige bezeichnet worden, dem eine Ersteigung, wenn überhaupt möglich, gelingen würde. Auf die Frage nach seinen Ansprüchen antwortete der Passeirer: „Jetzt wage ich es; gelingt es mir gut, so werden Sie mir geben, was Sie Anderen versprochen haben, gelingt es mir nicht, so brauch ich keinen Lohn.“
Gebhard´s beide Zillerthaler wurden dem Manne mitgegeben, er selbst aber, nach langer Krankheit kaum genesen und noch geschwächt, musste zurückbleiben. Fünf Tage darauf, am I. October 1804, konnte Gebhard an Erzherzog Johann schreiben: „Königliche Hoheit! Es ist vollendet, das grosse Werk! Der Stand der Barometer auf der Ortlerspitze war den 27. September 1804 zwischen 10 und 11 U. mittags 194“, die correspondirende Beobachtung in Mals zeigte 300“. Wie unaussprechlich glücklich fühle ich mich, im Stande zu sein, Eurer königlichen Hoheit diese Nachricht in Unterthänigkeit ertheilen zu können!“
Die drei Männer hatten am 27. September um 1 ½ U. morgens Trafoi verlassen, gleich hinter den Heiligen Drei Brunnen waren sie die Hänge hinaufgestiegen, um den Ferner (Unterer Ortlerferner) zu gewinnen, diesen unter Mühen und Gefahren hinaufgegangen und dann in die Wände links eingestiegen. „Hat man endlich die Wände überstiegen, so erreicht man abermals den Ferner, und man kann ohne Mühe auf den Gipfel steigen.“
Nach 10 U. waren die Männer auf dem Gipfel angelangt und hatten 8 U. abends Trafoi wieder erreicht. Die Darstellung Gebhard´s ist keineswegs deutlich. Doch kennen wird den Weg, welchen die ersten Ersteiger nahmen, deshalb ganz genau, weil Schebelka im Jahre 1826 und Peter Thurwieser 1834 ihn ebenfalls benutzten, und zwar auch unter der Führung Pichler´s, und ihn genau beschrieben. Er führte zum Oberen Ortlerferner und gehört auch heute noch zu den schwierigen, jedenfalls zu den gefährlichsten Anstiegen. Warum gerade dieser Anstieg und im folgenden Jahre, ebenfalls von Pichler, der nicht unschwierige Hintere Grat zur Aufstiegsroute gemacht wurde, mag im Umstande seinen Grund haben, dass bei beiden Wegen keine lange Gletscherwanderung nothwendig waren und die ersten Ersteiger damit das unbekannte, geheimnisvolle Terrain, das sie sonst nie betraten und welches ihnen in seiner Bewegung und Durchklüftung besonders furchtbar erschien, grösstentheils vermeiden konnten.
1) Der < Sammler für Geschichte von Tirol > III., Innsbruck 1808, < Monatliche Correspndenz von Herrn von Zach, XL, Gotha 1805; Hornmayr, < Archiv für Geographie, Historie, Staats- und Kriegskunst>, VIII,. 1817 , Nr. 61 – 70 ; Frh von Moll, < Annalen der Berg- und Hüttenkunde>, III. Besteigungsbericht übernommen von: Von Lois Friedmann in Wien