Zillertaler Bergführer
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Klettern als Urtrieb

Kinder klettern – wenn man sie lässt, mit einer Freude, die grenzenlos scheint. Heute, als Großvater meiner Enkel, erfüllt es mich mit einem warmen Glück, zu beobachten, wie diese kleinen Entdecker über jeden Stein, jede Mauer, jede Hürde hinaufwollen und erkenne in ihren neugierigen Augen denselben ungestümen Ehrgeiz, der uns einst trieb. Wenn ein Hindernis zu hoch erscheint, ein Fels zu steil – erkennt man diesen kleinen Funke in ihnen, das unerschütterliche „Ich schaffe das!“.

Alles, was mit Klettern zu tun hatte, war für uns Magie: das berühmte „Think-Pink“-T-Shirt als Zeichen der Freikletterbewegung, die ersten Kletterschuhe – damals noch knöchelhohe Adidas-Sportschuhe ohne Reibungssohle später abgelöst vom begehrten EB – und die Ideen von Wolfgang Güllich oder Reinhold Messners Ausrüstungsgegenstände. Klettern beherrschte unsere Gedanken, weit vor Schule, Arbeit zu Hause oder Alltag. Das Rofangebirge wurde unsere zweite Heimat, ein Kleinod, an dem jede Wand, jeder Fels, jede Route ein Versprechen von Freiheit und Abenteuer.

Wenn es Richtung Kramsach und dem Einsersesselift ging, wurden wir gefahren– entweder von unserer Mutter, die den Führerschein spät nachholte, oder von Anna, der Mutter meines Kletterpartners Stefan Neussl. Anna war warmherzig, fürsorglich und voller Liebe. Sie sorgte nicht nur für ihre eigene Familie, sondern behielt auch meinen Bruder und mich liebevoll im Blick. Ihr war wichtig, dass es neben ihren eigenen fünf Kindern den „Wierer-Buamen“ auch gut ging. Mein erster ausgewachsener Sonnenbrand nach der Ersteigung des Rosskopf Südwand im Rofan wurde mit Zitrone und Topfen gelindert, kleine Schrammen sorgfältig versorgt und nach jeder Tour wartete ein großes Stück Kuchen mit Tee - ein stilles Ritual der Geborgenheit nach der Zeit voller Adrenalin und Steilheit.

In all den Jahren, in denen noch zahlreichen Touren kamen – gemeinsam oder allein –, trugen wir diese frühen Erfahrungen in uns. Sie schulten unseren Instinkt und lehrten uns, dass Leidenschaft nicht nur Abenteuer bedeutet, sondern auch Fürsorge, Geduld für die Menschen, und dass Menschen still hinter uns stehen, ohne selbst zu klettern, aber mit ganzem Herzen dabei sind und Verständnis für unsere Leidenschaft haben trotz Sorge um unser Leben haben.

#365 Tage Freude am Berg