Zillertaler Bergführer
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Naturhistorische Reise 1784 in das Zillertal

1760 – 1838
Freiherr Carl Ehrenbert v. Moll

„Seine Staatskunst gehörte dem Heimatlande, sein Forschen und Sammeln der Wissenschaft, sein ganzes Denken, Streben und Thun dem Geistesfortschritte der Menschheit.“

Erster Reisender durch das Zillertal
Erster touristischer Botschafter über die Besonderheiten
und Schönheit des Zillertal

Mitte des 1700 Jahrhundert verbreitete sich die Lehre der Naturwissenschaften im gesamten Alpenraum. Der Drang nach Stillung des Wissendurstes über naturwissenschaftliche Fragestellungen war der wesentlichste Grund des Forschers Horacè Bénèdict de Sauussure 1760 eine Belohnung für die erste Besteigung des Mont Blanc auszulegen, die dann am 8.August 1786 dem Arzt Paccard und dem Kristallsucher Balmat gelang. Begeisterte Reise- und Erlebnisberichte von Dichtern ( Goethes erste Reise in die Schweiz 1775), Forschern und Interessierte von ihren Wanderungen und die gewonnenen Eindrücke und Wahrnehmungen wurden über Publikationen in die Gesellschaft getragen. Im Jahre 1785 verschlägt es den österreichischen Landmann, Mitglied der ökonomischen Gesellschaft zu Burghausen, der Naturforschenden Gesellschaft zu Halle und den Naturforschenden Freunde zu Berlin Freiherr Carl Ehrenbert v. Moll in das Zillertal.

Dieser Aufenthalt diente weder dem Handel noch sonstiger wirtschaftlicher oder kultureller Interessen, sie diente einzig und allein der Wahrnehmung von Land: Zillerthall ist ein schönes, fruchtbares Thal, Blumige Wiesen – Fruchtbare Aecker – und freundliche Grienauen theilen sich das Erdreich desselben.“ und Leute: Ich eilte nun Hochstegen zu, wo ein artiger rechtschafner Landmann, Jakob Prosser, der auf dieser Reise mein Führer seyn wollte, mich erwartete.“

bis hinauf über die letzten Almen im Zemmgrund in die Gletscherregion unserer Heimat:  Lieber Freund! Ich weiß nicht, ob Sie schon Eisberge bereiset haben: aber was ich bey diesem ebenso schönen und prächtigen, als fürchterlichem Anblicke gefühlt habe, das mag ich Ihnen nimmermehr beschreiben. Die Bilder, die durch alles, was ich von diesen grossen Erscheinungen in der Natur in de Lucs, Altmanns, Walchers Werken – in den schönen Grunerschen Beschreibungen gelesen hatte, -- in Meine Seele gegraben waren, verschwanden als ich die Natur selbst sah. So schön, so unnachahmlich zum Theile die Beschreibung der Eisberge, von so grossen Naturforschern – so meisterhaft die Zeichnungen bey Gruner, und in der französischen Encyclopedie sind -- aber die Natur, mein Freund!—um wie viel schöner – unnachahmlicher ich sie!“unter dieser Betrachtung kann Freiherr von Moll guten Gewissens als erster bekannter Reisender und Botschafter über die Schönheit des Zillertals genannt werden. In kurzen Auszügen möchte dieser Beitrag Einblick in eine Reihe von Briefen geben die der Freiherr Carl Ehrenbert v. Moll an seinen Freund, dem Herrn Direktor Schrank der ebenfalls Mitglied in der ökonomischen Gesellschaft von Burghausen ist, zukommen ließ.

Bei der Abschrift dieser Briefe, wurde man neben der geistigen Verfolgung seiner Spuren, unter anderem auch in die Welt der damaligen Schreibweise entführt, diese Schreibweise wurde beibehalten das sie zur Authentizität dieser Schriftstücke gehört. Aber lassen wir den Freiherrn von Moll selbst seine Wahrnehmungen und Eindrücke berichten:

Vorbericht:

Ich liefere hier den Fremden der Naturgeschichte ein Päckchen Briefe in die Hände, die zwischen meinem verehrungswürdigen Freunde, dem Herrn Direktor Schrank, und mir von Burghausen nach Zell, und von Zell nach Burghausen gelaufen sind. Durch die Herausgabe derselben glaubte ich ihnen um so weniger einen unangenehmen Dienst zu erweisen, da sie gröstentheils die Naturgeschichte einiger, von dieser Geiste noch ganz unbekannter, Gegenden betreffen. Herrn Schrak´s Namen ist den Naturforschern ohnedem aus mehreren wichtigen Schriften rühmlich bekannt, und ich bin gewiß, daß sie ihm, für die mir gütig gegebene Erlaubniß, seine Briefe öffentlich bekannt zu machen, Dank wissen werden. Soll dieser erste Band glücklich genug seyn, mit Beyfall aufgenommen zu werden, so soll längstens bis zur Ostermesse 1785. Der zweite nachfolgen.

Geschrieben zu Zell im Zillerthall,
den 1. Herbstmon. 1784.
Karl Erenbert von Moll

Vierter Brief Zell im Zillerthall den 28. Augustmondes 1783

Topographische Beschreibung des Zillerthalles. Der 22te Neumondes war´s, als ich ungeachtet der ungewöhnlichen heftigen Gewitter, die heuer mehr als andere Jahre in unseren Gegenden wütheten, meine lange schon vorgehabte Reise nach den Gletschern Zillerthalls antrat. ….. In meiner Tasche, schob ich Ekkard´s Reisenden: und da man auf ähnlichen Reisen manchmal sehr übel daran ist, wenn man nicht auch seine Magen zu Gemüthe geführt hat, so versah ich mich auch mit etwas Kalbsbraten, und weissen Brode. Ein starker Junge vom Dorfe trug all mein Reisezeug auf seinem Rücken; und so wandelten wir von Zell weg, um die Gletscher, davon wir im Hintergrunde das Thales schon Vorboten vor uns liegen hatten, zu erreichen. Ich muss Ihnen ehvor etwas von dem Thale sagen, dessen südliche Gränze diese Eisberge umschliessen.

Zillerthall ist das westliche End des Erzstiftes Salzburg. Sie können dieß in unsers Odilo Gutrathers Karte von Salzburg sehen. Es gränzt gegen Morgen an Brixenthal und Pinzgau, beydes salzburgische Gauen, gegen Mittag an die tirolerischen Gerichte Taufers, und Sterzing: gegen Abend liegen Steinach, Rettenberg, und Freundberg. Gegen Mittag Rattenberg, und der Innstrom. Nur von der ersten Seite hängt es mit dem übrigen Erzstift zusamm; von den andern stößt es rundum an Tirol. Das Hauptthal behält nicht in seiner ganzen länge die nemliche Richtung: Der nördliche Theil desselben liegt von Nord gegen Süd; eine kleine ½ Stunde unter Zell springt der, an der westlichen Seite gelegene Zellberg, mit einer Ecke ostwärts für, und das Thal beugt sich etwas südwestwärts; ungefähr ½ Stunde über Zell macht der östlich liegende Heinzenberg einen ähnlichen Vorsprung westwärts, und das Thallenkt wieder mehr südwärts ein. Mehrere Seitenthäler stehen in rechten und schiefen Winkeln aus dem Hauptthal von West gegen Ost; so wie sich der nördliche Theil des letzten in einem rechten Winkel an das Innthal schließt, das hier Ost gegen Westwärts liegt.

Mitten durch das Thal fließt die Ziller von Süd gegen Nord: sie ist ein mittelmäßiger, aber reissender Strom, mit dem sich die Wasser von 13 mäsigen Seitenbächen vereinigen, die selbst 26 kleinere in ihrem Schooße mit sich führen. Am Ende des Thales ergießt sie sich in den Innstrom: …..südwärts gen Zell sind die beträchtlisten Dörfer im Thale: Schlitters, wo seit wenigen Jahren ein K.K. Gränzzollamt ist: Gägering, wo seit einem Vertrage vom Jahre 1640.

Die Häuser tirolisch, und die Grundstücke salzburgisch sind: Fügen mit einem Salzburgischen Pflegamte, einem K.K. Eisenhandel, der vormals der Gräfl. Füegerischen Familie gehörte, und dazu die Hammerwerke ungefähr eine ¼ Meile südwärts von hier liegen; denn einem artigen Landhause, das izt ein Graf von Taxis besizt. Hier ist auch der Sitz eines Landdechants vom Brixnerschen Kirchensprengel; dann so wie die Ziller das Hauptthal in das östliche und westliche theilte, so ist sie auch die Gränzscheide der beiden Kirchensprengel, das vom Fürsterzbischof von Salzburg, und das vom Fürstbischof zu Brixen: die östliche Seite des Thales steht unter dem ersteren; die westliche unter dem zweiten. Von Fügen ist noch 1 ½ deutsche Meile bis Zell: auf dem Wege dahin kommen vor: Kapfing : die Gräflich Tannenbergsche Dörfer, Fiesing, Uderns, und Ried: ferners Kaltenbach, ihm gegenüber jenseits der Ziller die Gräflich=Bissingsche, vormals Schidenhofsche Herrschaft Stum; endlich Aschau, Mitterdorf, und Zell. Hier ist der Sitz eines Salzburgischen Pflegamtes, dann eines Landdechants vom Salzburgschen Kirchensprengel. Die beyden gedachten Vorsprünge, die der Zellberg und Hainzenberg machen, bilden um Zell eine Art von Kessel: der erste verhindert die Aussicht in das nördliche Thal --: hinter dem zweyten verbirgt sich wohl ein Theil der Ebene des südlichen Thales, aber nicht die hohen Gebirge am Hintergrunde desselben, die mit aller ihrer Majestät über diese niedrige Ecke hinwegsehen. Uebrigens hat Zell auch eine artige Kirche als man hier vermuthen sollte, aufzuweisen: der verdiente tirolsche Baumeister Andre Hueber, in Kizgicht, ein Bruder Blas. Hueber, der in Gesellschaft Peter Anich´s unter Leitung des ehrwürdigen greises, Prof. Weiharts, an dem tirolschen Atlas arbeitete, hat sie im Jahre 1771 zu bauen angefangen, 1782 ward sie vollendet. Das Armen oder sogenannte Heiligenhaus, vormals Hospitale S. Joannis, hat bisher nur ein hölzernes Gebäude gehabt, das aber 1780 abgebrannt ist: wir hoffen nun bald ein ansehnlicheres Gebäude dafür zu erhalten. Zu Rohr und Klamm jedes eine kleine ½ Stunde im Osten des Dorfes, sind die Puch- und Wäschwerke zum Dienste der Rohrberg- und Heinzenbergschen Goldbergwerke.

Zillerthall ist ein schönes, fruchtbares Thal, Blumige Wiesen – Fruchtbare Aecker – und freundliche Grienauen theilen sich in das Erdreich desselben. Nur im nördlichen Theile liegt eine grosse mooßigte Wiese, die von den Besitzern derselben, den Bewohnern des Dorfes Uderns , das an ihrem nördlichen Ende liegt, gröstentheils zu Pferdheu benützt wird: und beyden Dörfern Mitterdorf , Stum und Schlitters mischen sich spiegelnde Teiche in das Grün der anliegenden Wiesen und Wälder. Die Berge, die dieß angenehme Thal begränzen, -- die es für West – und Ostwinden schützen, aber den kalten, regenbringenden Nordwinden öfnen, -- die den Wohltätigen Strahlen der Sonne durch wiederholtes Zurückprallen, und Beugen die wirksame Wärme geben, -- sind im nördlichen Theile desselben ganz, im südlichen großentheils grün, und fruchtbar: nicht schauderndes Felsengewände, nicht hartes Gestein, das jedem niedrigen Strauche seinen Schooß verschließt: es sind bis an eine beträchtliche Höhe hin gesegnete, bewachsene Berge, auf denen friedliche Bauernhütten – schattige Fichtenwäldchen – blumliche Wiesen – und fruchtvolle Aecker abwechseln.

Um 5 Uhr früh ungefähr brach ich von Zell auf. Ein heiterer, angenehmer Morgen wars: und die liebe Sonne hatte schon die im Südost liegende Felswand, Gerlosstein, mit einer rosenfärbigen Binde gegürtet. Der Fußsteig läuft zwischen Aeckern, Wiesen und schattigen Erdenauen südwestwärts, durch die Mitte des Thales, am Ufer der Ziller. Der Wohlgeruch des Byffus-Jolithus L., der am Gestade derselben auf den Granitgeschieben wächst, ist wahre Wollust für den Wanderer. Dieß vortrefflich riechende Haarmooß ist häufig auf den Steinen, die an beiden Ufern der Ziller aufgehäuft sind: aber meistens überzieht es nur die Granitgeschiebe, die auch den grösten Theil dieser Steinhaufen ausmachen. Viele Stunden, die Sie im Thale an diesen Gestaden hineinwandern, begleitet sie der süsse Veilchendufte davon. Seine Farbe ist blaß – bald dunkelroth; bald fällt sie ins gelblichte : je dunkler die Farbe, desto vortrefflicher der Geruch ….. Nach einer kleinen Stunde war ich dem Dorfe Hippach gegenüber, das jenseits der Ziller am Fuße des Schwendberges liegt. ….. Eine (weitere) kleine halbe Stunde von hier kam ich an einen schmalen Steg, der mich über die Ziller nach dem sogenannten Gstan führte. Ich hatte diesen Weg vor einigen Wochen in Gesellschaft eines anderen Kanzleiverwandten gemacht, und der Wind fuhr damals so heftig durch das im Hintergrund gelegene Thal des Dornauberges über diesen Weg weg, daß wir alle Kräften anwenden mussten, um nicht in den Strom hinangeschleudert zu werden.

Der Weg, den ich izt zu machen hatte, ist etwas gefährlich. Er läuft am Abhange eines Kalkgebirges hin, das theils für sich sehr brüchigt, theils durch das beständige Holzfällen an der Höhe desselben so erschüttert ist, daß große Steine sich von Zeit zu Zeit oben losmachen, über den jähen Abhang des Berges herab, und zum Theile in das Strombett der Ziller stürzen. Wirklich trif t man beynahe immer auf solche abgestürzte größere oder kleinere Steintrümmer; und daher vermuthlich der Name dieser Gegend, die ungefähr eine kleine halbe Stunde dauern mag, Gstan (Gestein). Man kann diesen Weg vermeiden, wenn man durch das Dorf Mairhofen, welches im Osten der Ziller liegt, nach Hochstegen gehen will; aber der Weg über das Gstan ist viel kürzer. Nach einer guten Höhe senkt sich dieser Berg, nordwestwärts in ein schmales aber angenehmes, fruchtbares Thälchen, dessen nördlicher Theil das Sattlek, der südliche das Astek heißt. Am Astek habe ich Hafer und Gerte gefunden, die an Wuchs, und Menge der Körner jede andere im Hauptthale weit übertrafen. Am Gstane öfnete sich meinem Auge wieder ein beträchtliches Seitenthal, im Osten des Hauptthales, eine kleine Strecke über den Dorfe Mairhofen: es heißt der Zillergrund, und seine Richtung ist von Ost gegen West. Die Ziller entspringt in diesem Thale, dessen Nordseite der Pramberg umschließt: ein steiler, aber bis an seine größte Höhe hinan mit Bauernhütten, Saatfeldern, und Wiesen gezierter Berg. Die Berge, die sich an der Mitagseite des Thales erheben, sind theils mit Waldungen, theils mit grünenden Alpweiden bedeckt, bis an ihren Firsten die nackte Granitfelsen sind. Da der Abhang dieser Berge sehr jähe ist, so stürzen im Frühlinge die gräßlichsten Schneelahnen vom demselben ins Thale herab. Vor wenigen Jahren hat eine Lahne die Bauernhütte zu Kröbis, nicht weit vom Eingang des Thales, gepakt, von ihrem Plaze weggerissen, und so über und unter gekehrt, daß sie auf dem Dache zu stehen kam: glücklicher Weise waren die Bewohner derselben gerade zur Kirche, bis an die alte Mutter, die im Hause zurückgeblieben war, aber auch noch wohlgehalten in der Stube gefunden ward. Die gute Alte hat mir selbst ihre Geschichte erzählt. ….. Im Hintergrunde des Thales liegt die Au, wo der fürstliche Gemsjäger wohnt. Hier öffnen sich wieder zwey Seitenthäler: ein größeres, nordostwärts, das sie Hundskehle heißt: südwärts die Sonder,  …. Durch die letztern führte ein sehr mühsamer Fußsteig über den Rücken eines hohen Gebirges, des Hörndls, nach Taufers in Tirol. ….. Ich habe meinen diesen Weg seit einem Jahr öfter gemacht, aber nie war ich in der geringsten Gefahr: auch dießmal kam ich ganz wohlbehalten an der Kohlstätte, und dem Bauerngut Kreuzlau vorüber, bis an eine schmale, aber bequeme hölzerne Brücke, die mich über die Ziller nach Hochstegen führte. Wenn auch zwischen dem Fußsteige und dem Strome nur 1 ½ Schuh Raum übrig war, so hatte ihn der Fleiß des Landmanns zu benüzen gewußt. Ich eilte nun Hochstegen zu, wo ein artiger rechtschafner Landmann, Jakob Prosser, der auf dieser Reise mein Führer seyn wollte, mich erwartete.

Fünfter Brief. Zell im Zillerthall den 7.Herbstm.

Im letzten Briefe habe ich meine Reisegeschichte in dem Augenblicke abgebrochen, da ich zu Hochstegen ankam. Wir wollten hier nicht lange weiden, mein Freund; denn mein Führer hat schon seine Joppe über die Schultern, und heißt mich gehen.

Nur noch ein Feld Weges Ebene war uns übrig: und denn giengs rund um an die Berge. Wir hatten hier zwey Thäler vor uns liegen, davon sich das eine westwärts, das andere südwärts zieht. Das erste führt durch das Dörfchen Finkenberg nach dem Tuxe, einem Thale, darüber ich Ihnen allein eine gute Reihe Briefe schreiben könnte, so gar sonderbare, ganz von den im angränzenden Zillerthale, verschiedene Sitten, Kleidung, und Gewohnheiten herrschen da inne. Aber wenn würden wir in unsere Eisberge kommen?

Wir bestiegen die Anhöhe, die in das südliche Thal führet. Man erreicht bald das letzte Bauerngut, das die böse Dornau, so wie diese Gegend überhaupt der Dornauberg heißt. Nun ward es allmählig enger:  …..  In ländlichen Gesprächen mit meinem Führer floß mir der Weg zum Karlsteg, eine ½ Meile von Hochstegen. Ich weiß nicht, woher diese schmale hölzerne Brücke über den Zembach den Namen Karlsteg hat. Noch vor zwey Jahren führte hier ein sehr niedriger, schlechter Steg über den Zembach: das traurige Schicksal einiger kühner Aelpler, die sich, ungeachtet der Bach sehr angeschwollen war, und heftig an das schlechte Brückchen schlug, dennoch darüber wagten – aber auch unglücklich genug waren, ihre Kühnheit mit dem Leben bezahlen zu müssen – gab Gelegenheit diese bequemere hölzerne Brücke mit Seitenwänden anzulegen.  …..

Mein Führer sammelte hier weiches Pech von Fichten, um es zu kauen: es ist dieß eine Sitte der Zillerthaler, die ihre ganz artige Ursache hat, nemlich die blendende Weisse ihrer Zähne, die man dadurch erhält. Auch hat das Pech eben keinen so unangenehmen Geschmack, wie ich aus eigenen Versuchen gelernt habe. Zuverläßig ist es behaglicher, als die abscheuliche Gewohnheit der Zillerthaler Tabak zu kauen. Wie kann ich an diese gräßliche Sitte ohne Eckel denken: und doch ist dieß die Lieblingskost unserer Aelpler. Mancher Mann kaut jede Woche seine halbe Rolle Tabak: und mehrere Bauernknechte versplittern damit ihren ganzen Jahrlohn ….. Die Gewohnheit Tabak zu kauen, hat sich vermuthlich von hier aus auch in´s Pinzgau, und weiter in das Brixenthal, dann in die tirolschen Thäler Allbach, und Witschenau verbreitet – und sie scheint auch unter den Bauern im Unter=Innthale immer bekannter zu werden. …..

Mein Weg führte mich durch die Voralpen Farmebe und Schliffstein. Von hier aus sahe ich das erstemal die besondere Wirkungen der Schneelähnen. Ein tiefer Graben durchschneidet die Voralpe Schranbach, die jenseits des Zembaches, am Fuße des Gebirges Schranbachkarr liegt; ein kleiner Bach wälzt sich von der Höhe desselben durch diesen Graben herab, und verreinigt sich im Thale mit der Zem. Wenn nun die warme, aufthauende Witterung, oder irgend eine andere Ursache den Schnee an der Höhe des Schranbachkares losmacht, so fährt er mit einem entsetzlichen Geräusche durch den Gaben herab bis in die Tiefe des Thales, Zwar füllt die Schneemassen nun den ganzen Graben: aber das Wässerchen bohrt sich unten seine Strasse durch, schleicht unter der Decke die Höhe herunter, und kommt im Thale unter dem Haufen, wie eine Quelle, wieder heraus. So wie die Witterung gemäßigter wird, zerschmelzt theils der Schnee von oben, theils von unten durch die Wärme der unter der Schneemasse eingesperrten Dünste: das unter ihr fliessende Bächgen wird auch durch den Zufluß des Wassers von der Höhe immer stärker – und zugleich der Kanal, durch den es fließt, und dessen obere Decke harter Schnee ist, geräumiger, so daß endlich nichts als ein Theil der oberen Kruste zurückbleibt, der izt, nahe am Ausflusse des Wässerchens in den Zenebach, wo der Haufe am tiefsten war, eine ordentliche Brücke über den Gaben bildete. Diese Kruste war noch mehr als ein Schuh dick, und mein Führer versicherte mich, daß man manches Jahr den ganzen Sommer hindurch sicher über diese Schneebrücke gehen dürfte.

Ich verfolgte nun meinen Weg durch die Thaläste, und Penzingäste; beide gehören unter die besten der hiesigen Voralpen; man war eben in der ersten mit Mähen zu Ende, und ich wunderte mich der Menge Schöber, auf die man das Gras aufgehäuft hatte. Jenseits der Zem lagen die Voralpen Lengau und Lippenästl. Endlich erreichten ich den Ginsling, eine sehr fruchtbare Voralpe. Im Osten derselben öfnet sich südostwärts ein Thal, das die Floite heißt: ich habe es auf der Rückreise von den Eisbergen besucht.

Bald giengs nun wieder ein bisgen in die Tiefe, und ich kam in die erste Alpe Käserlar. Die Lage der Sennhütten an der westlichen Seite des Zembaches ist höchst romantisch. Zerstreut in ein kleines Wäldchen genießen sie den Schatten wohltätiger Fichten. So stelle ich mir ungefähr nach den Beschreibungen der Seefahrer, die kleinen Dörfer der Indeaner vor. Ein sanftes, kühles Abendlüftchen spielte izt mit den Aesten dieser Bäume, und dadurch mischte sich in das Schöne der Lage noch so ein angenehmes, tiefes Geräusche, das einen höchst lebhaften Eindruck auf mich machte. Gesellschaftlich zwar -- ein kleines Dörfchen – und doch so einsam – so ehrwürdige, in hohem Grade heilige Stille hier. Unmöglich kann ich Ihnen eine mahlerische Beschreibung dieser Gegend widerschreiben, so sehr ich es thun zu können wünschte. Aber lange stand ich unbeweglich da, und betrachtete – gieng einige Schritte vorwärts – und kehrte wieder um – und konnte mich nie satt sehen.

Es ist eine artige Sitte der hiesigen Aepler, das beynahe jede Alpe ihren Denkspruch hat, der sich nach ihrer verschiedenen Güte oder Lage bezeichnet. Ich muß Ihnen doch in der Folge die Denksprüche der Alpen, so wie ich sie nacheinander durchreiset habe, hersezen. Ich weiß, daß es Ihnen nicht unangenehm seyn kann, sie zu lesen: ich fand es wenigsten für meinen Geist sehr nahrhaft, auf ähnlichen Reisen nicht nur die Natur in den Thieren, Pflanzen und Mineralien – sondern auch in dem Menschen, und seinen verschiedenen Gewohnheiten, vorzüglich in Gegenden, wo er im natürlichsten Zustande zu seyn scheint, aufzusuchen.

Der Denkspruch dieser Alpe heißt:
Z´Käserlar wärs schon fein,
Wenn man nicht müst´ tragen
Das Schmalz von aussen hinein.

Der Vordersaz dieser Devise bestättigt das, was ich Ihnen über die Lage der hiesigen Sennhütten gesagt habe, aus dem. Was ich Ihnen diesen Augenblicke sagen werde, können Sie sich den Hintersaz erklären.

Nach einem kurzen Wege erreichte ich Breitläner, eine Alpe, und zugleich das Waarenlager der Aelpler in der Zem (so heißt dieß ganze Thal bis nach der innersten Alpe Schwarzenstein). Von allen Alpen in diesem Thal – es sind ihrer acht – fliessen hier alle Erzeugnisse an Butter, Käsen und Schotten zusamm, und werden in kleinen hölzernen Hütten die Kästen heissen, aufbewahrt. Die Melker oder Hirten tragen gewöhnlich jeden zweyten oder dritten Tag die Erzeugnissen der zween lezten Täge von den Alphütten hieher. Jeder Theilhaber an diesen Alpen hat hier sein eigenes Hüttchen, dem der ganze Lastzinsnutzen anvertraut wird; er schickt von seinem Gute im Thale gelegentlich Träger hieher, die ihm Käse und einen Theil der Schotten zu Hause bringen; denn die Butter und ein grosser Theil der Schotten werden unmittelbar von hier aus in das nahe Tirol verkauft. Zur Sicherheit ihrer Magazine halten sie hier einen Mann, der den ganzen Sommer über da wohnt, und gegen nächtliche Einbrüche in die Waarenlager zu wachen hat. Sie heissen ihn Kastenhüter, und seine Wohnung ist eine eben so schlechte, kleine hölzerne Hütte, die runde Löcher hat, um sich mit Schießgewehr daraus zu vertheidigen. Uebrigens ist Breitläner selbst eine Alpe – wo aber die Weide nicht vorzüglich gut ist: Daher ihr Denkspruch:                   

Braitlanär,
Schottensämär.

Denn wo die Weide nicht gut ist, erzeugt man wenige Butter, und viele Schotten. Nah ist die Hütte eines fürstlichen Gemsenjägers. Im Westen der Alpe erhebt sich jenseits des Zembaches eine Anhöhe, die der Breitlaner Schinder heißt, Wenn man diese Höhe überstiegen hat, öfnet sich das Pfitschergründl, ein schmales Thälchen, das schon tirolisch ist. Diese Gegend ist reich an verschiedenen Gesteinarten, ….. Ich habe daher Turmaline, wie die vom Greiner, ….. in einer amiantartigen Mutter erhalten, der sich ungemein gut ausnimmt. Man findet alles dieß in der Nähe eines grossen Gletschers, der sich hinter dem Greiner durchzieht, und vermuthlich mit der Kette von Eisbergen, die ich Ihnen im nächsten Briefe beschreiben will, zusammenhängt. Gelegtlich will ich hier bemerken, das das Wort Grund, Gründl hier überhaupt ungefähr so viel als Thal, Thälchen heißt: wenn von den Seitenthälern Zillerthalls die Rede ist, so heißt es in den Gründen: daher Zittergrund, Zemgrund, und eben so auch Pfitschergründl.

Wir fanden hier niemand zu Hause; denn das Vieh war izt in der Alpe Schwarzenstein: doch trafen wir einige Tiroler aus dem Pfitschergründl an; und die ganze Karavane lagerte sich auf einer Bank, an der Hütte des Jägers. Recht erwünscht kam dieser gerade vom Berge her, und trug einen gewichtigen Gemsbok auf dem Rücken. Der gute Alte öfnete uns die Thüre seiner Hütte, und bot mir die Leber von dem gefällten Thiere, Da wir müde waren: So ruhten wir hier aus, und leerten unsere Brandweinfläschgen. Was mich mehr als die Ruhe erquickte, war die Freude, die ich hatte, hier schon einen Blumenstrauß von Edelweiss zu sehen. Er stand auf dem Tische, um den wir uns gelagert hatten, in einem kleinen Wasserkrügchen. Ich beschäftigte mich mit diesen Pflanzen, während das der Jäger seinen Gemsbock öfnete, und die Leber für mich herausnahm, die mir höchst willkommen war. Der gute Alte erbot sich auch mich auf die Eisberge zu begleiten – und nachdem ich ihn auf den künftigen Morgen zu uns auf die Alpe Schwemm beschieden hatte, nahmen wir von unserem Wirthe Abschied, und wanderten mit neuem Muthe über eine kleine Anhöhe, und denn immer am Zembach hin der Alpe Schwemm zu. Der Weg führte uns durch die Alpe Klausen: vermuthlich hat sie diesen Namen von einer Alten Holzklause erhalten, von der man noch Ueberbleibsel gewahr wird.

Ihr Denkspruch ist:
in der Klausen
thut der Kübl brav sausen

Sie sehen schon ohne mein Erinnern aus dieser Devise, daß hier trefliche Weide ist, weil viele Butter gemacht wird. Auch hier werden die Kühe zuweilen vom Blutharne gequält, aber nicht so beständig, wie in der Voralpe Saustein. Nach einer Viertelstunde erreichten wir die Alpe Schwemm. Die Berge, zwischen denen wir durch das Thälchen von der Alpe Käserlär bis hieher kamen, sind rechts, oder an der Abendseite der Riffler und Spiegel, an der Ostseite die Spätenkarre, das Schlingkärrl, und der Braitenberg: alles sehr hohe, zum theil kahle Gebirge, die muntere Gemsen beherbergen.

Schwemm ist die Alpe meines Führers, und wir sollten hier übernachten. Ich kann Ihnen nicht beschreiben, wie zufrieden ich war, als wir sie erreichten; denn die Gegend ist hier angenehm, -- der Horizont öfnete sich wieder, und das Thälchen ward etwas geräumiger; als es au meiner Reise hieher immerhin gewesen war. Die Sennhütten auf dieser Alpe liegt am Fuße eines zur Hälfte mit Fichten und Zirbelbäumen bewachsnen, zur Hälfte Kahlen: Granitgebirges, das, so wie alle übrigen Berge umher, auf Schiefer aufzusizen scheint. Neben Ihr steht eine gemauerte Hütte, die bey stürmischen Wetter die Ziegen und bey Schneegestöber die Kühe beherbergt. Hinteher standen einige sehr ansehnliche Fichten, und eine kleine Strecke davon quoll ein silberklarer Brunn aus dem Berge, der trefliches Wasser – Wasser, das ich in diesem Augenblicke mit keinem Maderawein vertauscht haben würde – führt. In das Rieseln der Quelle mischte sich der traurige Ton der Ziegenglöckchen und das sanfte Geräusche der nahen Fichten. Welch ein feyerliches Tönen durch die Natur ! Gerade vor der Hütte lag ein geräumiger Weideplatz, den hie und da kleine Aermchen des Zembaches durchschnitten: und die Berge rund umher bildeten eine Art von Kessel, den nordwärts , wo wir hergekommen waren, schloß sich das Thälchen sehr enge, und südliche war die Aussicht durch eine steile Anhöhe begränzt, dafür aber eine schöne Kaskade, die der Zembach da machte, vollends entschädigte. Sonst sind es sehr hohe, aber eben so brüchige Granitgebirge,darunter im Südwest auch der bekannte Greiner war. Die kleinen Gletscher, die sich zwischen den höchsten Schatten dieser Berge einsenkten, verwehren nicht wenig das Mahlerische dieser Aussicht. Ich fand sie ungemein schön, und würde sie unsehbar izt noch länger betrachtet haben, wenn ich nicht in meinen Gliedern so etwas gefühlt hätte, das mich daran erinnerte, daß ich heut von Zell bis hieher sieben gemessene Stunden über einen zum theile sehr rauhen Weg zu Fuß gegangen war.

Nachdem ich ein bischen ausgeruhet – und meine Bücher und Schachteln ausgepackt hatte, scherzte ich einige Zeit mit den menschenfreundlichen Ziegen, die uns an der Thüre der Hütte besuchten. Die Melker eilten um ihr Vieh zu melken, und ich gieng mit Prosser eine kleine Strecke für die Hütte hinspazieren. ….. Die Sonne hatte unterdessen auch die höchsten Gipfel der Berge verlassen, und die letzten Spuren von Dämmerung erinnerten mich, und meinen Führer, daß man uns in der Hütte erwarten würde. Wir kehrten froh nach dieser glücklichen, patriarchalischen Wohnung zurück: Prosser briet mir etwas Gemsleber: ich las noch eine Weile am Kochfeuer: und die Melker waren am Ende gefällig genug mir einige Alpenlieder zu singen.  Wollen Sie, mein Freund! ein Bild unseres ländlichen Klubs haben, so nehmen Sie die Tafel, auf der Scheuchzer im I. Band seiner Naturgeschichte des Schweizerlandes die Zeichnung einer Sennhütte gegeben hat, für sich; reiben sie den Kessel vom Feuer ab – setzen Sie mich, Prosser, Seinen Bruder, seine beiden Söhne, und meinen Träger in einem halben Zirkel um selbes – denken Sie Sich auf allen Gesichtern die Züge der inneren Seelenruhe, und des Vergügens – und das Bild ist fertig. Wäre ich de Luc, der tiefsehende Forscher jeder Falte des menschlichen Herzens – hätte ich den sanften, gefühlvollen liebenswürdigen Ausdruck dieses Gelehrten, so würde ich diesen Brief mit einem Blicke in die Gesichter des Menschen schliessen.

Sechster Brief. Zell im Zillerthall , den 13. Herbstm.1783

Dank sey dem Himmel! ´s ist wieder ein heitere, angenehmer Morgen. Die rosenrothen Spitzen der Schneegebirge lachen mir von der Höhe herab entgegen – ein feierlicher Anblick! der obere Boden ofenen Hütte, die aus Bäumen so nachläßig gezimmert ist, daß zwischen jedem Paare derselben ein ofener Raum von mehr als einem Zoll bleibt, – dieß war die Schlafstube – ein mässig Bündel Heu mein Bett. Dank dir, Allvater! ´s ist wieder ein heiterer, angenehmer Morgen.

Die Sonne war noch nicht hoch genug am Horizonte, daß mir ihre belebende Stralen unmittelbar empfangen konnten. Die hohen Berge, an der Ostseite, verbargen uns dieß wohlthätige Gestirn – aber sie waren nicht hoch genug, um sein Blicken auf die kahlen Granitfirsten im Westen zu verhindern, Das unbeschreibliche schöne Gemische von Schatten und Licht, das Dunkel der Wälder im Osten – und das glänzende Rosenroth der Felsen im Westen – malten das Land um mich so herrlich, daß ich es nicht gerne übernehmen möchte, Ihnen alle die Farben mit ihren zahllosen Nuancen zu nennen, die diese Aussicht recht in die Wette verschönerten. Dazu bildete die um die Hütte versammelten Heerde fetter Kühe und gutmüthiger Ziegen so mannichfältige Gruppen in diese Landschaft, daß ich mir in dem Augenblicke Poussins und Rous´ens Pinsel wünschte, um mit dem ersten der Natur die herrlich Landschaft abzuborgen, und mit diesem das Vieh darein zu malen.

….. mein Führer rief mich zum Frühstücke. Kaum hatte ich Geduld genug meine Milchsuppe einzuschlürfen, so sehr eilte ich, diesen angenehmen Tag zur Fortsetzung meiner Reise nach den Eisbergen zu benüzen. Wir hatten nur eine kurze Strecke vor uns, um einen Berg zu erreichen, der der Grawander Schinder heißt: ein sonderbarer Name, den ich ihnen bald erklären will.

Die Kaskade, die in diesem Augenblicke vor mir liegt, hatte freylich so viel Reize für mich nicht, wie die Krimmlische: aber ich fand sie immer schön genug: um mich einige Minuten von ihr bestäuben zu lassen. Wir stiegen nun den Berg weiter hinan, der in dieser Höhe noch immer mit Fichten und Erlen bewachsen war: aber so wie wir höher kamen, verschwanden die Erlen, und die angenehme Farbe der Zirbelbäume mischte sich in das dunklere Grün der Fichten. …..

Wir hatten endlich die Höhe erstiegen, nachdem wir ehevor bey einer Quelle vortreflich süsses und kaltes Wasser getrunken hatten. Hier fanden wir einen bausbärtigen, blutrothen Aelpler, der Butter und Käse aus der Alpe Schwarzenstein nach Breitläner trug. Er erinnerte mich, daß ich Ihnen noch den Namen dieses Berges, Grawander Schinder erklären muß. Denken Sie mein Freund! An das zurück, was ich Ihnen im lezten Briefe bey Breitläner von dem dortigen Zusammenflusse der Erzeugnisse aus allen Alpen dieser Gegend gesagt habe.

Die Melker von Schwarzenstein, Waxegg, Gewand und Schöngichl müssen jeden zweyten Tag, so lang sie auf diesen Weydepläzen sind, alle Erzeugnisse über diesen Berg nach Breitläner bringen. Nun trägt so ein Mann, wenn er eine Heerde von ungefähr 30 Kühen zu besorgen hat, mäßig gerechnet, eine Last von 92 Pf. Auf seinen Rücken.  …. Sie begreifen nun, warum ein Aelpler diesen für sie höchst lästigen Berge den Namen Grawander Schinder geben. Nur muß ich Ihnen noch sagen, daß man, so wie man die Höhe dieses Berges erreicht hat, in die Alpe Grawand kömmt. Diese Alpe gehört den Besizern der Alpe Breitlaner, und liegt sehr angenehm. Ihr Denkspruch ist: Z´Grawand Ist der Schinder an der Hand.

Der Weg ward nun immer steinigter: aber was sollte mir dieß für ein Hinderniß seyn? izt, da ich wirklich schon einen Theil des Gletschers von Waxegg vor mir liegen habe? – lieber Freund! Ich weiß nicht, ob Sie schon Eisberge bereiset haben: aber was ich bey diesem ebenso schönen und prächtigen, als fürchterlichem Anblicke gefühlt habe, das mag ich Ihnen nimmermehr beschreiben. Die Bilder, die durch alles, was ich von diesen grossen Erscheinungen in der Natur in de Lucs, Altmanns, Walchers Werken – in den schönen Grunerschen Beschreibungen gelesen hatte, -- in Meine Seele gegraben waren, verschwanden als ich die Natur selbst sah. So schön, so unnachahmlich zum Theile die Beschreibung der Eisberge, von so grossen Naturforschern – so meisterhaft die Zeichnungen bey Gruner, und in der französischen Encyclopedie sind -- aber die Natur, mein Freund!—um wie viel schöner – unnachahmlicher ich sie! Noch hab ich´s nie so stark gefühlt, wie wenig Worte das ausdrücken, was man empfindet, als in diesem Augenlicke. Mein Aug war zu sehr an den Gletschern geheftet, als daß ich nicht darüber manche schöne Pflanze übersehen haben sollte. Unterdessen erreichten wir die Waxegger Bergmäder, oder steilen Bergwiesen, wenn sie wollen. `S war ein sonderbarer Pfad, das uns dahin führte. ….. Da diese gefährliche Straße für jedes Stück Viehes, das in die Alpen Waxegg, Schwarzenstein und Schenpicht gehen, oder von daher zurückkommen soll, unumgänglich ist, so liegen auf den Bäumen immer sehr viele Kuhwaben, die durch den Regen aufgeweicht, die Ursache waren, daß ich beynahe mit jedem Schritt ausgleitetete. Freylich ist ein Geländer angebracht, welches für Menschen und Vieh höchst nothwendig ist; aber bey allem dem bleibt diesem Weg noch vieles, dafür der Stadtmann zurückschaudern würde. Jeden Winter muß diese Brücke abgetragen, und erst, wenn aller Schnee in dieser Gegend abgefahren ist, wieder angelegt werden: weil sonst der Schnee, der sich auf diesen blanken Steingrunde nicht halten kann, immer alles mit sich in die Tiefe führen würde.

Während daß ich Pflanzen sammelte, kam ich unmerklich immer näher an die Eisberge: war schon beynahe am Fuße des Waxegger Gletschers, den Alphütten, die nur wenige Schritte vom Gletscher jenseits dem Zembache liegen, gegenüber. Zugleich sah ich hier den Roßruckgletscher, der von dem ersten nur durch einen schmalen Felsberg, Roßruk, abgeschnitten ist. Uebrigens parallel mit ihm läuft, und sich von Nord gegen Süd allmählich in die Wolken erhebt. Ich blieb hier lange Stehn, und ließ mir von meinem Führer, der ehemals in der Alpe Waxegg Melker gewesen war, ein Bild von den Eisbergen und ihren Eigenschaften machen, darunter freylich auch manches Fabelwerk war, wie z.B das siebenjährige periodische Ab = und Zunehmen der Gletscher u.f.m. Die Alpe Waxegg hat nicht sonderlich gute Weide – und ist überhaupt sehr steinigt und rauh, Daher ihr Denkspruch:

Z´Waxegg
Gibt’s kleine Butter,
und grosse Schottsäk.

Ich hatte in der Nachbarschaft dieser unermeßlichen Eismassen nichts anders als eine fürchterliche Kälte vermuthet, und mich deßwegen in doppelte Wamse gesteckt: aber zu meiner Verwunderung lispelte hier ein angenehmes, laues Lüftchen um unsere Haare. Mein Vergnügen darüber dauerte nicht lang – denn ich erinnerte mich bald irgendwo gelesen zu haben, daß laue Winde aus den Eisbergen her Regen verkünden, und fieng an sehr unzufrieden mit diesen Zephyr zu werden.

Wir setzten nun unsere Reise weiter fort. Bisher waren wir immer von Nordost gegen Südost gegangen – nun führte mich ein schmaler Steig von West gegen Ost der Alpe Schwarzenstein zu, Diese war das Ziel meiner Reise, Allmählig hatten die Bäume sich zu verlieren angefangen – und izt sah ich wirklich auf einer Strecke um mich her nicht einen einzigen. Ich hatte hier wieder einen sehr unangenehmen Weg, um in die Alpe Schwarzenstein zu kommen. Man würde bey dem geringsten Fehltritte unvermeidlich in den reissenden Wildbach stürzen, da auf der ganzen jähen Oberfläche zwischen dem Bache und dem Steige nicht eine Staude ist, die ihre wohlthätigen Aeste zur Rettung leihen könnte. Glücklich gieng´s darüber weg und nun war ich in der Alpe Schwarzenstein. Meine Ahnung, daß der lauliche Wind von den Eisbergen her ein Regenbote seyn würde, fieng mir nun an bestättigt zu werden; denn immer mehr ward uns der Anblick des schönen lasurblauen Himmels durch trübes Gewölke entzogen, daß sich nun sehr schnell über unseren Scheiteln verbreitete.

Schwarzenstein ist die höchste Alpe in dieser Gegend, und gehört den Besizern der Alpen, Breitlaner, Klausen und Grawand: Die Sennhütten sind hier sehr nachlässig aus Steinen, die mit keinen Mörtel verbunden sind ausgeführt, weil man auf eine beträchtliche Strecke rund herum keinen Baum zum Baue hölzerner Hütten finden würde: gerade so wie de Luc die Hütten zu Anterne fand. Man kennt hier kaum den Regen: denn er verwandelt sich zu geschwinde in kaltes Schneegestöber: da nun, so wie auf den meisten Alpen, für das Vieh mit keinen Ställen gesorgt ist, wo es bey stürmischem Wetter Schutz finden könnte: so muß es nicht selten mehrere Tage im neuen Schnee unter freyem Himmel zubringen, welches freylich nachtheiligen Einfluß auf den Laktizinsnuzen der Eigenthümer hat: denn die Kühe können an solchen Tagen nur sehr wenig milchen. Man könnte glauben, daß in den wenigen Wochen des schönsten Sommers, die das Vieh auf diesen hohen Weydepläzen, die Witterung, wenn nicht immer sehr gemäßigt, doch niemals so rauh seyn könnte, Aber man würde sich dabey irren: wirklich hat es nur drey Tage, nachdem ich hier war, so heftig geschneyt, daß die Melker gezwungen waren, diese Alpe mit ihrem Viehe zu verlassen, und die niedrigen Weyden zu Grawand zu beziehen. Hier bleibt der Winter immer Herr im Hause – nie verdrängt ihn der Frühling oder Herbst daraus, und man könnte sagen, daß er in den wenigen, schönen, heiteren Tagen, die man hier genießt, den Sommer nur als Gast bey sich bewirthe.

Der Denkspruch dieser Alpe ist:
z´ Schwarzenstein,
kleine Wadel (Waden) grosse Bein,
und Enkel wie die Zentnerstein.

Prosser führte mich in eine Alphütte, in der ich einen lebhaften, rothbärtigen, wohlgewachsenen Melker antraf, der sehr leutseelig und gefällig war. Ich ruhte hier nur wenige Augenblicke aus – denn, da es immer trüber am Horizont zu werden anfing, und ich vermuthete, die Witterung möchte sich ganz im Ernste in Schneegestöber umschaffen, so eilte ich den Schwarzensteiner, oder Horngletscher zu besichtigen. Die Hütten liegen sehr nahe an diesen Gletschern, den ein kahler, von seiner Gestalt das Horn genannter, Granitberg vom Roßrukgletscher scheidet. Wir mußten, um ihn zu besteigen, über den Zembach sezen. Obwohl er nur aus dem Wasser, das unter dem Gletscher herfürfließt, seinen Ursprung hat, so ist er doch hier schon ziemlich breit und tief: und da in dieser Gegend nirgends eine Brücke darüber geschlagen ist, so fiel ich, ungeachtet mir mein Führer die Hand bot, zugleich tief in das Wasser: aber noch schlimmer gieng es meinem Träger, der sich endlich, nachdem ihm Jakob seinen Bergstock gereicht hatte; auch durchrang. Nun standen wir wirklich auf dem Eise. Der Erste Schritt, den ich auf einen Gletscher that! Da er sich vom Fuße weg eben nicht so gar steil, sondern allmählig erhebt, so ward es mir ganz leicht ihn zu besteigen. Ich kann Ihnen nicht sagen, wie viel Vergnügen ich dabey fühlte, und wie ich sogar nicht an den frostigen Wind – und das regnerische Wetter dachte, bis mich meine erstarrte Hände daran erinnerten.

Die Oberfläche des Gletschers war schmuzigt weiß, beynahe schwärzlich. Wenn man noch keinen anderen, als den gewöhnlichen Winterschnee auf flachem Lande, der kein Alter erreicht, gesehen hat, -- so kann man sich nicht wohl einen Begriff vom veralteten, Jahrhunderte ausdauernden Schnee auf den Alpen machen. Sie war ferner hökricht, an vielen Stellen, wie mit Sand überstreut – nirgends so geglättet, wie Eisbahnen auf dem Lande – aber auch nirgends nahm ich hier grössere oder kleinere Eisthürme und Erhöhungen gewahr, wie die meisten bey Gruner gezeichneten Schweizerschen Gletscher haben. Diese harte Eisdecke war überall durch unzählige Klüfte gespaltet, die immer tiefer wurden, je höher wir den Gletscher hinan klimmten. Alle von mir bemerkten Klüfte standen rechtwinklich auf der Basis des Gletschers, für die ich keine Ausgang unten am Zembach annahm: sie durchschnitten ihn nicht querrübert – parallell des Basis – sondern, wie ich sagte, parallel den Bergen zwischen denen sich der Gletscher hereinstreckt. Ich bitte Sie, mein Freund! Diesen Umstand wohl zu bemerken – denn ich werde im folgenden Brief, wo ich Ihnen einige zufällige Gedanken über die Eigenschaften der Gletscher zu sagen die Ehre haben werde, auf diese Beobachtung zurückkommen. Zwischen diesen Klüften, deren einige Mehrere Schuhe breit waren, öffneten sich fürchterliche Schlünde, in deren Grunde man wohl das Wasser rauschen hörte, aber es für Tiefe ungeachtet einer noch so angestrengten Aufmerksamkeit nicht sehen konnte. Die innere Schichte des Eises zeigte sich in diesen Klüften, so weit ich die Farbe wohl unterscheiden konnte, meergrün, und das Dunkel der Farbe stieg in dem nämlichen Verhältnisse, wie sie sich mehr dem Grunde näherte. Der Gletscher ist gewölbt, -- und senkt sich sich an den Seiten gegen die Berge, die ihn an der Ost= und Westseite einschließen. Diese sind in ihren Abhängen nicht mit Eis bedeckt, sondern Felsengewände. Sie schliessen auch den Gletscher nicht in seiner ganzen Höhe ein, sondern sie verlieren sich nach und nach, und der Gletscher breitet sich dann über alle Gipfeln und Höhen wie ein unermeßliches Meer aus, zwischen ihm und diesen Seitenwänden liegen mäßige Gräbchen, durch welche in kleinen Rünsten Schneewasser läuft: aber nirgends fand ich auf seiner Oberfläche ähnliche Rünste: wohl aber an mehreren Stellen grössere und kleinere Felstrümmer. Der Gletscher senkt sich allmählig dem Boden zu, er wird nicht durch eine jähe Eiswand abgeschnitten, wie der Zinkgletscher bey Gruner I.Th.S.48. endigt sich auch nicht in Eisschründe, wie z. B der von Bernina: (Gruner II.Th.S.104) sondern verliert sich sanfte in den Zembach, der ihn nach seiner ganzen Basis hin begrenzt, und in verschiedenen kleinen und grösseren Quellen aus ihm eben so entspringt, wie etwa die Lauteraare aus dem Zinkengletscher.

Ich war lange genug auf dem Gletscher herumgeklettert, -- hatte über einige kleine Spalten übersezt – tausendmal mich von Nord gegen Süd, -- von Ost gegen West, -- und wieder von West gegen Ost gekehrt, und alles rund um mich betrachtet und bewundert, als mich meine starre Hände und durchnezten Kleider erinnerten, daß es nun auch Zeit wäre, nach den Hütten zurückzukehren, um mich wieder zu wärmen und zu trocknen. Aber es ward nicht so Kinderspiel, den Gletscher rückwärts hinunter zu steigen, als wir bergan gekommen waren. Das Gemische von Regen und Schnee, das einstweilen immer aus dem trüben Gewölke auf uns niedergefallen war, und das wir bis izt nicht Zeit gehabt hatten zu denken, hatte unseren Pfad abscheulich schlüpfrigt gemacht – und ich gleitete anfangs bey jedem Schritte aus. Da uns der Weg manchmal zwischen zwo Spalten durchführte, so hätte ich so garant bequemlich bey einem Ausgleiten in den Abgrund stürzen können: und dem Gott befohlen, Sie und alle meine lieben Freunde! Wie hätte ich die liebe Sonne und den freundlichen Mond wieder gesehen – hätte nimmermehr zu meinen Insekten und Pflanzen wiederkehren – nimmermehr Ihnen von allem dem, was ich hier sah und staunte, eine Sylbe sagen können. Aber ´s war doch so arg noch nicht. Mein scharf gespizter Stock – meine genagelten Schuhe – und der sorgfältige Wegweiser brachten mich gut und wohlbehalten, wie Sie mich bald bey Ihnen in Berchtesgaden sehen werden, nach der Alphütten zurück, wo sich unser redlicher Wirth eben bereitete, Mittagsuppe für uns zu kochen.

Ich will Ihre Zeit nicht länger mehr mit meinem Geschreibsel nothzüchtigen. Es war ohnedem ein herzlich langer Morgen um den heutigen. Im nächsten Briefe will ich Sie zum See am rothen Kopfe führen.

Ich bin unwandelbar
Ihr Freiherr Carl Ehrenbert v. Moll
Zell im Zillerthall , den 13. Herbstm.1783

Quellenhinweis: Münchner Digitalisierungszentrum Digitale Bibliothek / Schrank Franz von Paula: Naturhistorische Briefe über Oesterreich, Salzburg, Passau und Berchtesdaden; Wikipedia.de;

#365 Tage Freude am Berg