Zillertaler Bergführer
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1. Versuch - 1. Absturz:

Für Andreas und mich waren es die Inbegriffe für Felswände, in den Wäldern unserer Heimat standen sie zahlreich herum, benützt von trainierenden Bergsteigern, wobei Training für das damalige Tun zu viel gesagt wäre, es war mehr ein Üben um den Umgang mit Seil, Knoten und Abseilen für die nächste Bergtour nicht ganz zu vergessen. Diese Felsen hatten alles was ein Kletterer der Neuzeit meidet, Moose und Flechten ohne Ende, brüchiges verwittertes Gestein, dauerfeuchte Kletterstellen und einzelne seit gefühlter Urzeit steckende Hacken, die Zeugen von bergbegeisterten Vorgängern waren.

Und doch, sie hatten auch eine Anziehungskraft, auf jeden Fall so viel Anziehungskraft, dass wir, noch im schulalter mit Vaters Ausrüstung dorthin mussten um eine „Erstbegehung“ zu machen. Zur damaligen Zeit noch an die persönliche Unsterblichkeit glaubend, suchten wir zielsicher den größten, höchsten, moosigsten Felsbrocken aus. So gut wie möglich versuchten wir das vielleicht Gehörte, aber sicher nicht Verstandene nach zu ahmen. Die Handgriffe, um in die Kletterausrüstung hinein zu kommen, machten schon einen ziemlich routinierten Eindruck, beim Sichern wurde Neuland betreten der einzige Wissenstand, den wir hatten, war, Einer klettert - Einer hält bzw. gibt das Seil aus, viel mehr war nicht.

Ich als der Ältere, stieg in die auserkorene „Rissverschneidung“ ein, es fühlte sich gut ja sogar fantastisch an, es fühlte sich alles richtig an eine neue Welt war für uns entstanden, bis zu einer bestimmten Höhe, die man auch in Zukunft immer schneller erreichte als gedacht. Andreas war am Boden der Meinung es würde schön langsam Zeit wieder „irgend-etwas“ zu tun. Was bedeutete eine weitere „Neulanderweiterung“ einen Hacken hatte ich kurz über den Boden zu „Probe“ gesetzt - ein paarmal gesehen - noch nie getan - und schon gar nichts vom singenden Metallklang eines gut sitzenden Hackens wissend, versuchte ich ohne Ahnung von „wo“ und „wie“ am besten zu platzieren, setzte ich einen weiteren Hacken. Der eingehängte Karabiner mit dem durchlaufenden Seil strahlte für mich ausreichende Sicherheit aus um weiter zu klettern, nur noch ein paar Meter, dann erschien mir, käme ein Platz der sich als „Standplatz“ anbietet, abgelenkt durch diesen verlockenden Gedanken einer Scheinsicherheit, oder einfach weil man schon viel zu weit ins Nichts vorgedrungen war, ein Rutscher bei den Füßen, kein wirklicher Halt am feuchten Fels und ich flog im hohen Bogen aus der Wand, direkt auf Andreas und mit ihm weiter in ein steiles Brennnessel- bzw. Dornenfeld.

Endlich zum Stillstand gekommen, der instinktive Selbstcheck, ob die eigenen Gliedmaßen noch funktionieren, dann ein betrachten der Hände aus dehnen durch den Schmutz Blut sickerte, was zu damaligen Zeit nichts Besonderes war, aber DANN kein Wort von Andreas, ein böser Schreck durchfuhr mich, LEBT er noch. Andreas - saß da wie das berühmte Häufchen Elend, der Schmerz war im durchaus an zu sehen, jammern oder gar weinen haben ich Andreas nur ganz selten gesehen, wer jedoch Andreas kennt - kennt auch diesen Gesichtsausdruck, der für Schmerz in jeder Form steht und der reicht, um zu wissen wie es Andreas geht. Die Brennnesseln und Dornen hatten ihn schlimm zugesetzt, sein Arm war als Folge meines Gewichts gebrochen, doch in seinen zutiefst erschrockenen Augen und seiner immer schon fürsorglichsten Art, war seine einzige Sorge das er mich nicht halten hat können, was ja unmöglich gewesen wäre >> WEIL<< der zweite Hacken genauso wie ich aus der Wand flog und der erste zu tief gesetzt wirkungslos war, mein erster und einziger „Grounder“ also der Aufschlag am Boden des stürzenden Kletterers, nur die Steilheit des an der Felswand anschließenden Geländes hatte das Schlimmste verhindert. Wie geschlagene Krieger gingen wir nach Hause. Ab diesen Zeitpunkt war „die Schatztruhe unseres Vaters“ interessanterweise versperrt. Den zweiten Hacken habe ich viele Jahre später als Erinnerung nach Hause gebracht.

#365 Tage Freude am Berg